Stimmt es, dass man unterwegs nur in einer Zelle telefonieren konnte?

 

 

Ja, das war so ein gelber Kasten, etwa zweieinhalb bis drei Meter hoch. Drei Seiten waren verglast, an der vierten, sozusagen an der Rückwand, hing ein riesiges graues Telefon mit Münzeinwurf und einem Hörer an einer Kabelschlange, die mit Metall umwickelt war.

 

Unten auf einem an der Rückwand angebrachten Kasten lag das Telefonbuch, in das (fast) alle Nummern von Telefonbesitzern in der jeweiligen Stadt oder Region eingetragen waren – nur die Nummer nicht, die du gerade anrufen wolltest. In besseren Telefonzellen hingen einige Telefonbücher in einem Gestell, man konnte jeweils eines hoch bewegen und aufklappen, um darin zu blättern und nach einem Namen zu suchen.

 

Wenn man den Namen gefunden hatte, riss man die Seite aus dem Telefonbuch und steckte sie ein, damit die Sucherei künftig nicht mehr nötig sein würde. Leider wurde das Telefonbuch dadurch immer dünner.

 

 

Wenn man nun also seine Nummer gefunden hatte, sie von der herausgerissen Seite ablesen konnte oder sie vielleicht noch auswendig wusste oder sie in seinem Notizbuch entdeckt hatte, konnte man wählen. Man nahm den Hörer ab, klemmte ihn sich zwischen Schulter und Hals, infizierte sich dabei mit allen Bakterien und Viren der Menschen, die in den letzten zwei Stunden in der Zelle telefoniert hatten, warf 2 × 10 Pfennig in einen Schlitz und konnte an der Wählscheibe wählen.

 

Meistens hatte man aber gerade die letzten 20 Pfennig einem Bettler in den Hut geworfen oder sie waren einem durch ein Loch in der Hosentasche gefallen. Ja, Löcher in Hosentaschen gab es damals auch noch. Wenn man aber die passenden Münzen hatte und die Verbindung hergestellt war, konnte man so lange sprechen, bis das Geld verbraucht war – gefühlte 2,3 Sekunden. Wenn man länger sprechen wollte, musste man Geld nachwerfen.

 

Man telefonierte im Stehen, bei längeren Telefonaten nahmen die Menschen in der Zelle sehr merkwürdige Stellungen ein, kauerten irgendwie auf dem Boden, klemmten sich zwischen die Glaswände wie ein Bergsteiger im Kamin, lehnten lässig an einer Seite der Zelle – eine Performance, welche die davor Wartenden auf angenehme Weise unterhalten konnte. Auch rauchten sie meist heftig, was in der Zelle zu einer Atmosphäre führte, die der auf der Venus ziemlich ähnlich war.

 

 

Oft konnte man nicht lange ungestört telefonieren, weil der nächste Mensch mit einem dringenden Telefonat vor der Tür wartete, gegen die Tür klopfte, fluchte, später dann Morddrohungen ausstieß, damit man das Telefonat beendete. Manchmal standen ganze Schlangen vor einer Telefonzelle, nämlich dann, wenn lustige Mitmenschen alle anderen Telefonzellen in der Gegend demoliert hatten, zum Beispiel alle Hörer abgeschnitten hatten, was mancherorts eine beliebte Freizeitbeschäftigung war.

 

 

Besonders beliebt waren Telefonzellen bei Betrunkenen. Man konnte im Winter darin relativ warm schlafen, über die Telefonbücher kotzen oder in die Ecke pinkeln. Es dauerte nicht lange, bis selbst neu aufgestellte Telefonzellen das ganz typische Telefonzellen-Aroma verströmten, eine interessante Mischung aus Bundespost, Nikotin, Mageninhalt und Urin. Es war in der Tat ein Erlebnis, unterwegs zu telefonieren.